Die Diagnose
Mein Name ist Milena und ich bin 17 Jahre alt. 2008 erfuhr ich von meiner Skoliose. Ich fiel beim Inlinern hin, es war damals schon das vierte Mal, dass mir das passierte. Diesmal war es so schlimm, dass wir ins Krankenhaus gefahren sind, um den Rücken röntgen zu lassen. Dabei bemerkten die Ärzte, weil auch ein Stück der Wirbelsäule mitgeröngt worden war, dass meine Wirbelsäule eine atypische Krümmung aufwies. Anschließend mussten wir zum Orthopäden um die gesamte Wirbelsäule röntgen zu lassen. Und tatsächlich, meine Wirbelsäule zeigte mehrere leichte Krümmungen. Das Bild schockte mich, und was die Ärzte dann sagten, noch mehr. Ich war damals zehn Jahre alt und verstand noch nicht genau, was das bedeuten sollte. Meine Wirbelsäule hatte insgesamt drei Kurven – eine im Hals-, eine im Brust- und eine im Lendenwirbelsäulenbereich; ich hatte ein starkes Hohlkreuz und mein linkes Schulterblatt stand um hervor. Die Krümmung im Halswirbelsäulenbereich war nur schwach ausgeprägt, um die haben sich die Ärzte keine Sorgen gemacht. Aber die Krümmungen im Brust- und im Lendenwirbelsäulenbereich hatten schon 20°– 30°.
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Das Korsett
Danach begann eine unschöne Zeit für mich und meine Eltern. Der Orthopäde empfahl uns eine Korsett-Therapie. Wir stimmten natürlich sofort zu, nachdem wir darüber aufgeklärt worden waren. Immerhin wollten wir, dass es mir besser geht. Im Krankenhaus in Münster wurde uns ein Korsettbauer empfohlen. Wir saßen und warteten eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich an der Reihe waren. Und ständig dachte ich darüber nach, was mit meinem Rücken eigentlich passiert ist. Ich konnte das alles gar nicht richtig verstehen. Dann kamen wir endlich dran. Ich musste meinen Oberkörper freimachen, ein weißes langes Shirt anziehen, mich anschließend auf eine Art Podest stellen und an einer Stange festhalten. Dann erklärte mir eine Frau kurz, was jetzt gemacht würde, und los ging es. Diese Frau und ein Mann begannen, warme Gipsstreifen um meinen Oberkörper zu wickeln. Das war eigentlich ein angenehmes Gefühl, kalt wäre es nicht so schön gewesen. Als sie fertig waren, musste ich noch so lange stehen bleiben, bis der Gips hart geworden war. Der Gipsabguss meines Oberkörpers sah schon cool aus. Daraus wurde mein erstes Korsett hergestellt. Es sah komisch aus, und beim Anprobieren merkte ich schon, dass das Tragen wahrscheinlich nicht so angenehm werden würde. Ich fand mich erst mal damit ab, denn ich sollte das Korsett so lange wie möglich tragen, am besten 23 Stunden pro Tag. Dass ich diese Zeit aber nicht schaffen würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Anschließend ging es mit dem Korsett nach Hause. Die Wochen vergingen und es fiel mir immer schwerer, dieses Korsett zu tragen. Nicht nur, weil ich keine Lust hatte, ich hatte auch Schmerzen. Aber ich dachte, das müsse ja so sein, sonst würde es nicht helfen. Im Sommer war es am Schlimmsten. Ich habe wegen des Korsetts unter dem Shirt sehr geschwitzt. Irgendwann konnte ich es dann nur noch nachts tragen. Ich habe die Schmerzen tagsüber nicht ertragen, mir ist immer der linke Arm eingeschlafen und nach meistens zwei Stunden musste ich es kurz ausziehen. In der Schule habe ich mich damit geschämt, deswegen habe ich es dort auch eigentlich nie getragen. Und wenn ich es doch versucht hatte, hatte ich solche Schmerzen, dass ich es ausziehen musste.
Die Reha
Die Wochen vergingen und mit der Zeit wurde es immer unangenehmer. Im Januar 2012 hieß es dann, ich solle drei Wochen in der Reha-Klinik in Bad Sobernheim nach Schroth therapiert werden. Es war dort eigentlich sehr angenehm. Ich hatte einen geregelten Tagesablauf, die Mädchen und Jungs waren sehr nett, und man konnte sich gut mit ihnen unterhalten, da sie alle das gleiche Problem hatten. Und auch die Betreuer haben sich gut um uns gekümmert. Die Übungen waren nicht leicht und man musste sie jeden Tag selbstständig durchführen. Das war aber eigentlich kein Problem für mich, ich fand einige sogar gut. Dann gibt es aber wieder Tage, an denen man hauptsächlich Atemübungen macht, denn es ist wichtig, richtig in die eingefallenen Stellen des Rückens zu atmen. Massagestunden gibt es auch; und wenn man ein Problem hat, kann man jederzeit zu einem Arzt oder Betreuer gehen. Außerdem gibt es Selbsthilfegruppen für junge Mädchen und Jungs, in denen man sich gegenseitig austauschen kann, wie der eine oder andere seine Probleme, z.B. die Hitze im Sommer bewältigt. Ich fand es angenehm, dort zu sein. Doch es gab auch Dinge, die mir nicht so gut gefallen haben. Deswegen sprach ich öfter meine Betreuer und den Arzt an, der immer die Visite machte, weil ich ziemliche Probleme mit meinem Korsett hatte. Also wurde mein Wochenplan geändert und ich wurde in die Korsettabteilung geschickt. Die Bögen in der Wirbelsäule wurden neu ausgemessen. Mir wurde gesagt, dass sich die Krümmung in meiner Wirbelsäule verschlimmert hatte, und zwar um fast 15° im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich. Keine so erfreuliche Nachricht Nachricht für ein 15-jähriges Mädchen, das auf Erfolge gehofft hatte. Also bekam ich ein neues Korsett. Dabei stellte sich heraus, dass mein altes nicht richtig gebaut worden und deswegen nutzlos gewesen war. Bei dem neuen Korsett musste man noch mehr auspolstern, aber es half trotzdem nichts. Mir wurde zum Schluss gesagt, würde man es dort, wo es wehtut, noch weiter auspolstern, würde ich mir die Scheitelrippe brechen. Das wollten wir um jeden Preis verhindern, deswegen versuchte ich, mit dem neuen Korsett zu leben.
Die Klinik
Leider war es mit diesem Korsett genauso schlimm und die Skoliose verschlechterte sich weiter. Nach etwa einem halben Jahr sagte mir der Orthopäde, dass es auf den Röntgenbildern nicht besser aussähe und mein Skelett schon so gut wie ausgewachsen sei. Er überwies uns in die Werner-Wicker-Klinik nach Bad Wildungen, was die letzte mögliche Lösung zu sein schien. Dort wurde ich nochmals von oben bis unten durchgecheckt. Das Ergebnis war eine Verkrümmung, die in der Brustwirbelsäule mittlerweile bei 40° und im Lendenwirbelsäulenbereich bei 41° lag. Dazu kam noch eine leichte Verdrehung der Wirbelsäule, die bei mir einen Lendenwulst (Buckel) auf dem rechten Schulterblatt von etwa zwei Zentimetern zur Folge hatte sowie ein Beckenschiefstand von (soweit ich weiß) fünf Zentimetern und ein Hohlkreuz. Wir wurden darüber aufgeklärt, dass die einzige Lösung eine Versteifung der Wirbelsäule wäre. Ansonsten würde ich wohl mit 20 Jahren meine ersten Bandscheibenvorfälle bekommen. Uns wurde erklärt, wie die OP abläuft und welche Risiken es gibt. Danach war ich erst mal geschockt, ich wusste nicht genau, was ich machen sollte. Aber es war die einzige Möglichkeit, die Skoliose und damit vielleicht die Schmerzen endgültig zu besiegen. Das habe ich mir mit diesem Eingriff erhofft. Ende Dezember kam dann der Anruf, dass ich schon im Januar 2013 stationär aufgenommen werden könnte. Können Sie sich vorstellen, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe? Ich kannes Ihnen sagen: Ich habe mich gefreut, aber auch geweint vor Angst. Es löst so eine Unsicherheit und Angst aus, aber die Freude, dass ich nicht lange warten muss und alles hoffentlich besser wird, ist genauso groß. Am 04.01.2013 war es dann soweit. Am ersten Tag wurde uns nochmal alles erklärt und dann die notwendigen Formulare unterschrieben.
OP-Vorbereitung
Dann begann die Vorbereitung. Ich durfte noch Wassergymnastik machen, vereinzelte Übungen etc.. Im Großen und Ganzen war alles recht entspannt. Ich musste etwa eine Woche vor der OP eine „Streckübung“ machen. Diese sollte die Wirbelsäule wohl langziehen, was einen besseren OP-Erfolg bewirken sollte. So richtig habe ich das aber nicht verstanden. Leider gab es ein paar Komplikationen, weshalb ich diese Übung nicht oft und lange machen konnte. Am 16.01.2013 war der Tag der OP. Ich bekam ein OP-Hemdchen an, meine Mutter flocht mir süße Zöpfchen und die Thrombosestrümpfe waren auch schon an. Ich war so aufgeregt und hatte solche Angst, aber meine Mutter war in dem Moment für mich da und kam mit bis zum Vorraum des OP-Saals (zumindest glaube ich, dass er dahinter lag). Dann verabschiedete ich mich von ihr. Ich wurde auf eine warme Liege gelegt und dann war ich auch schon weg. Die OP dauerte acht Stunden – hat mir meine Mutter nachher erzählt – und ich habe wohl eine Menge Blut verloren, weil ich während der OP zwei Bluttransfusionen brauchte.
Nach der OP
Als ich wieder aufwachte, musste ich mir erst mal klarmachen, wo ich war. irgendjemand fummelte an meinen Zehen rum und fragte mich, ob ich sie spüren würde. Ich gab, laut Aussagemeiner Mutter, die etwas zickige Antwort „JA!“. Dann spürte ich auch schon die Schmerzen, es ist kaum zu beschreiben. Mir wurde aber sofort bewusst, dass ich nicht querschnittgelähmt und noch am Leben bin. Es war eine richtige Erleichterung. Von den ersten zwei Tagen habe ich wenig mitbekommen, aber ich spürte Schmerzen. Ich bekam eine Pumpe in die Hand, mit der ich Schmerzmittel dosieren konnte. Leider durfte ich nur alle 15 Minuten pumpen, die dauerten manchmal echt lang. Ich wusste vorher nicht, dass ich auf dem Rücken liegen würde, weil dort ja die Narbe war, aber ich musste sogar auf dem Rücken liegen, auf dem Bauch war ab sofort verboten. Ich hatte immer Schmerzen und konnte nicht lange auf einer Seite liegen. Am zweiten Tag durfte ich das erste Mal sitzen und anschließend ein paar Meter laufen. Es fühlte sich richtig komisch an, als müsste ich es neu lernen. Ich habe mich gefühlt wie eine Marionette, die nicht von selber laufen kann. Nach dem dritten Tag stellte sich heraus, dass ich das Schmerzmittel nicht vertrug, denn ich hatte immer nach dem Drücken Atemprobleme. Also blieb ich einen Tag länger auf der Intensivstation. Ich glaube, ich war auch noch einen weiteren Tag da, weil ein Kreislauf so gar nicht in Schwung kam und ich nichts essen wollte. Ich hatte einfach keinen Appetit. Dann, am vierten Tag, war es endlich soweit: Meine Drainagen (Schläuche, die das überflüssige Blut aus der Wunde transportieren) wurden gezogen, das habe ich aber kaum gespürt. Mein ganzer Rücken war ja taub. Auf der normalen Station ging es mit dem Laufen dann immer besser, ich konnte schnell Treppen steigen, und die erste Dusche war wie ein Geschenk des Himmels. Mit dem Essen hatte ich immer noch Probleme. Das alles und die Hammer-Schmerzmittel schlugen mir natürlich total auf den Kreislauf. Die erste Zeit war ich noch auf Hilfe angewiesen, z. B. wenn ich zur Toilette musste oder mich in meinem Bett höher aufsetzen wollte.
Es war kein schönes Gefühl, so hilflos zu sein. Dann aber ging es nur noch bergauf. Ich konnte es kaum erwarten, meine Röntgenbilder zu sehen. Dann endlich – der Arzt zeigte sie mir. Ich brach in Tränen aus. Ich hatte zwei Stäbe und 20 Schrauben an der Wirbelsäule, aber das Wichtigste war: Ich hatte eine komplett gerade Wirbelsäule. Ich konnte es erst nicht glauben, aber es war wirklich meine Wirbelsäule. Der Arzt teilte mir mit Freude mit, dass keine Restkrümmung geblieben und die OP reibungslos verlaufen sei, auch mein Buckel konnte sogar um einen Zentimeter verringert werden. Das einzige, was nicht behoben werden konnte, war der Beckenschiefstand (von 2,5 cm) und das Hohlkreuz. Aber das war mir in diesem Moment egal. Ich rief meine Familie an, berichtete, schickte die Bilder rum und konnte es kaum fassen. Natürlich habe ich seit der OP Einschränkungen. Ich durfte anfangs nur 5 kg heben, Sport war verboten, und auch schlechte Angewohnheiten wie falsches Bücken muss ich jetzt anders machen. Damit kann ich aber leben.
Zuversicht
Nach weiteren zehn Tagen durfte ich nach Hause. Es war ein schönes Gefühl, alles hinter sich zu haben. Aber ein paar Schmerzen hatte ich natürlich immer noch. Während der Autofahrt erinnerte ich mich an die ersten Tage in der Klinik. Meine Eltern besuchten mich, alle waren für mich da, alle haben mir Mut gemacht. Ich habe gemerkt, dass alle Angst hatten, aber sie haben sich dafür eingesetzt, dass ich wenig Angst haben muss. Ich finde, diese Erfahrung gemacht zu haben, hat nochmal gezeigt, wie sehr mich meine Eltern, Verwandten und Freunde lieb haben, und dass sie immer für mich da sein würden. Egal, was passieren wird. Dieses Gefühl ist einfach unbeschreiblich. Die ersten drei Monate nach der OP habe ich noch zu Hause verbracht und nach und nach die Schmerzmittel reduziert. Dann konnte ich das erste Mal wieder zur Schule gehen. Ab diesem Zeitpunkt wurde es dann immer besser. Mein Rücken war zwar noch taub und Schmerzen hatte ich natürlich immer noch, aber es war kein Vergleich zu vorher. Ich bin froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Die ersten Kontrolltermine nach sechs Monaten und einem Jahr verliefen sehr gut. Und jetzt? Jetzt tippe ich hier für Sie diesen Bericht am PC und kann ohne Probleme sitzen, laufen, spüre den Großteil meines Rückens wieder und bin glücklich. Natürlich habe ich noch Probleme und auch Schmerzen, muss einmal die Woche zur Krankengymnastik. Aber wenn ich an die Zeit vor der OP denke, ist das alles das Beste, was mir passieren konnte. Meine Narbe ist gut verheilt, ich kann soweit fast alles wieder machen. Die Einschränkungen sind nicht schön, aber man findet sich mit der Zeit damit ab und es kann nur noch bergauf gehen. Das darf ich nicht vergessen. Man wird unterstützt und hat immer einen Ansprechpartner. Danke an die Ärzte, Schwestern, Betreuer und meine Familie, Verwandte und Freunde die mir geholfen haben, für mich da waren und mir das hier ermöglicht haben. Ich kann ein (fast) normales Leben führen.
Kontakt
Wer sich mit mir austauschen möchte, kann gerne Kontakt über das Deutsche Skoliose Netzwerk aufnehmen: