Ein Wechselbad der Gefühle

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Emma Schneider, damals 15 Jahre alt, an ihrer Wirbelsäule operiert. Sie und ihre Mutter erzählen, welche Sorgen die Familie beschäftigten, und wie sie sie gemeinsam bewältigt haben.

Skoliose? Als Emma Schneider 2014 erfuhr, dass sie an einer solchen Verformung der Wirbelsäule litt, war sie – und waren ihre Eltern – zunächst überrascht. Zu sehen war das nämlich überhaupt nicht. „Obwohl sie Ballett machte, seitdem sie fünf Jahre alt war und dabei ja immer ein enges Trikot trug, konnten weder wir noch die Tanzlehrerin sehen, dass etwas nicht stimmte“, erinnert sich Emmas Mutter, Karin Schneider.

Anhaltende Schmerzen im Bereich der Schulter führten die 13-Jährige jedoch schließlich zum Orthopäden. Der stellte durch ein Röntgenbild fest, dass die Wirbelsäule oben um 24 Grad, unten um 19 Grad verdreht war.

Anders als die meisten 13-Jährigen, konnte Emma mit dem Begriff „Skoliose“ sofort etwas anfangen – und war ziemlich betroffen. „Ich kannte das Thema schon, weil ich zwei Freundinnen hatte, die auch Skoliose haben und ein Korsett trugen. Bei denen habe ich mich dann manchmal ausgeheult. Aber sie haben mich beruhigt und gesagt: So schlimm ist das nicht!

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Zunächst schien auch alles recht unproblematisch. Emma ging einmal wöchentlich zur Physiotherapie; ein Korsett sollte sie nicht tragen. Nach einer erneuten Untersuchung beim Orthopäden, die ein halbes Jahr später erfolgte, sah alles gut aus. Sie machte den klassischen Vorneigetest und einige Bewegungen: Der Arzt war zufrieden. „Geröntgt wurde damals leider nicht, und ich habe auch nicht darauf bestanden. Ich war damals noch nicht so informiert wie heute“, erinnert sich die Mutter. Umso größer war der Schrecken, als Ende 2015 die nächsten Röntgenbilder gemacht wurden: Da hatte die Krümmung schon ein Ausmaß von 36 Grad, und das rechte Schulterblatt stand sichtbar vor.

Der Orthopäde verwies die Schneiders an die Kinderklinik in St. Augustin. Erneut gab es Physiotherapie, außerdem Einlegesohlen für die Schuhe, um eine leichte Längendifferenz der Beine auszugleichen. Von einem Korsett wurde weiterhin abgeraten, da die Knochenfugenmessung ergeben hatte, dass Emma nicht mehr wachsen würde. Das Korsett hätte daher keinen nennenswerten Effekt und von einer weiteren Verschlechterung der Skoliose war nach Einschätzung der Ärzte eher nicht auszugehen.

Dann, im Juli 2016, der Schock: Emmas Wirbelsäule hatte inzwischen eine Krümmung von 52 Grad oben und 28 Grad unten erreicht. „Als ich diesen Wert hörte, wusste ich gleich, dass die Ärzte zu einer Operation raten würden“, erzählt Karin Schneider. Die Sorgen der Eltern waren groß, und auch Emma fand die Vorstellung fürchterlich: „OP – das hört sich schon so schrecklich an. Erst einmal dauert es viele Stunden, und dann hat man hinterher Fremdkörper im Rücken. Die ganze Zukunft ändert sich. Und Schulzeit fällt aus.“ Alles das ging der Schülerin durch den Kopf. Wenn über mögliche Risiken des Eingriffs gesprochen wurde, wollte sie am liebsten gar nicht so genau zuhören.

„Man geht durch ein Wechselbad der Gefühle“, schildert Karin Schneider. An den Gedanken, dass die Wirbelsäule ihrer Tochter dauerhaft versteift werden würde, mussten sie und ihr Mann sich erst gewöhnen. „Das ist eine Veränderung fürs Leben“, so die Befürchtung der Eltern.

Um ganz sicher zu sein, die richtige Entscheidung zu treffen, suchte die Familie mehrere Kliniken auf. „Gut war, dass alle Ärzte, die wir gefragt haben, einig waren, dass die OP erforderlich sei. Aber ich habe auch immer gefragt: Wie würden Sie entscheiden, wenn es Ihre Tochter wäre?“, berichtet Emmas Mutter. Zwei Ärzte hätten daraufhin gezögert – 
für die Eltern ein schlechtes Zeichen.

In Köln-Braunsfeld ließen sie sich schließlich von Dr. Biren Desai beraten. Dr. Desai, Chefarzt im Sana Dreifaltigkeits-Krankenhaus, ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, spezielle orthopädische Chirurgie und Chirurgie. Er war der erste, der den Schneiders sagte: Wenn Emma meine eigene Tochter wäre, würde ich sie operieren lassen! Außerdem nahm er sich Zeit. „Wir waren während seiner ganz normalen Sprechstunde da. Trotzdem hat er uns fast eine Stunde lang beraten. Auch später noch einmal, als mein Mann und ich alleine dort waren, um uns noch genauer nach möglichen Risiken zu erkundigen“, so Karin Schneider.

Auch Emma fühlte sich bei Dr. Desai auf Anhieb gut aufgehoben. „Er konnte mir am besten erklären, was bei der Operation gemacht würde. Außerdem hat er direkt mit mir gesprochen. Andere Ärzte haben immer nur mit meinen Eltern geredet, als wäre ich ein ganz kleines Mädchen.“ Zudem stellte Dr. Desai gleich einen unkomplizierten Kontakt zu einem anderen Patienten her: „Da war ein Junge in der Sprechstunde, dessen Operation einige Wochen zurücklag. Ihm durfte ich Fragen stellen mir seine Narbe ansehen. Das hat mich total beschwichtigt“, erinnert sich die Schülerin. Das Krankenhaus gefiel ihr auch insgesamt, weil sie es angenehm ruhig fand.

 

Emma hatte zu diesem Zeitpunkt schon regelmäßig Rückenschmerzen und war kurzatmig. Es bestand die Gefahr, dass durch die Skoliose mit fortschreitender Verformung der Wirbelsäule innere Organe Schaden hätten nehmen können.

Trotzdem machten sich die Eltern die Entscheidung nicht leicht. Aufgrund der Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, war es für sie eine schwere Abwägung.

Als dann die Entscheidung für eine Operation gefallen war, blieb Emma noch eine letzte Sorge: Wie sollte sie später mit ihrer Narbe umgehen? Schnell hatte sie eine Lösung dafür: „Ich dachte mir, ich lasse ein Tattoo darüber setzen“, lacht sie verlegen. Mit einem Seitenblick auf die Tochter schmunzelt die Mutter: „Die Sorgen von Eltern und Kindern gehen etwas auseinander.“

Die erste Zeit nach dem Eingriff war für Emma mit vielen Schmerzen verbunden, und bis sie sich wieder frei bewegen konnte, dauerte es einige Monate. In die Schule konnte sie aber nach sechs bis sieben Wochen schon wieder gehen.

Heute, gut ein Jahr nach der Operation, sitzt sie kerzengerade am Tisch. Dadurch, dass mit der Operation die Wirbelsäule gerade aufgerichtet wurde, hat sie jetzt eine Größe von 1,65 Meter: „Fünf Zentimeter mehr als vorher, das finde ich toll!“ Ihren Traumberuf – Polizistin – wird sie wegen der Skoliose nicht ergreifen können.

Aber damit hat sie sich ausgesöhnt. Genauso wie mit der Narbe, die sie nun doch nicht tätowieren lassen hat: „Vielleicht trage ich zum Abiball sogar ein Kleid mit Rückenausschnitt. Inzwischen finde ich meine Narbe cool. Sie gehört zu mir!“


Interview & Text: Johanna Tüntsch